
Auszug aus der Einsprache einer Anwohnerin
Als Anwohnerin am Egelsee bin ich bereits heute durch diverse „Zwischennutzungen“ betroffen; diese würden sich durch Art. 27a (neu) BO erheblich verschärfen. Dieser Normentwurf ist aus rechtsstaatlicher Sicht problematisch, deshalb lege ich hiermit fristgerecht Einsprache und Rechtsverwahrung nach Art. 35 i.V.m. Art. 60 BauG ein.
Rechtsbegehren
- Das vorliegende Planerlassverfahren sei zu sistieren, bis in der Beschwerdesache zum Baugesuch im Areal des ehemaligen Entsorgungshofes (RA Nr. 110/2019/47) ein in Rechtskraft erwachsener Entscheid vorliegt.
- Eventualiter sei die vorliegende Einsprache gutzuheissen und der vorgelegte Normentwurf von Art. 27a BO sei wegen Unvereinbarkeit mit übergeordnetem Bundesrecht und kantonalen Recht vom
Gemeinderat zurückzuziehen.
- Eventualiter sei die vorliegende Einsprache gutzuheissen und es sei die neue Vorschrift von Art. 27a BO nicht zu genehmigen.
Einzelne Rügen zu Art. 27a BO (Überarbeiteter Entwurf 2019)
Jede Einschränkung eines Grundrechts bedarf der Grundlage in einem Gesetz. Inhalt, Zweck und Umfang sind hinreichend zu bestimmen. (Art. 28 Abs. 1 der Verfassung des Kantons Bern [KV; BSG 101.1]). Unter diesem Aspekt wird der Art. 27a BO (Entwurf) v.a. in seinem Wortlaut, in seiner Systematik sowie in Bezug auf seine Verfassungskonformität geprüft.
7. Kapitel (neu): Befristete Nutzung
Art. 27a (neu) Zwischennutzung
Absatz 1: Als Zwischennutzungen gelten alle Arten von befristeten Nutzungen
Absatz 2: Zwischennutzungen sind ausser in den Schutz- und Landwirtschaftszonen in allen Zonen zonenkonform, wenn sie
a. der Erfüllung einer öffentlichen Aufgabe dienen oder
b. Liegenschaften betreffen, für deren bewilligten Nutzungszweck objektiv kein Bedarf besteht.
Zum Begriff „Zwischennutzung“ gibt es bisher keine Legaldefinition. Als „Zwischennutzung“ wird umgangssprachlich die zeitlich befristete Nutzung baulicher Anlagen bezeichnet (Übergangsnutzung). “Zwischennutzungen” sind weder im Raumplanungsgesetz, noch im Baugesetz des Kantons Bern geregelt. Deshalb gelten zum jetzigen Zeitpunkt für sämtliche Nutzungen die gleichen Voraussetzungen in den Baubewilligungsverfahren.
Diese „befristete Nutzung“ soll gemäss dem Willen des Gemeinderates zonenkonform sein, wenn sie nach Abs. 2 Bst. a der Erfüllung einer öffentlichen Aufgabe dient. Was ist jedoch unter der Erfüllung einer öffentlichen Aufgabe zu verstehen? Bei der öffentlichen Aufgabe handelt es sich um einen unbestimmten Gesetzesbegriff aus dem Verwaltungsrecht, den dann die Rechtsprechung zu konkretisieren hat. In der Regel hat die Stadt damit staatliche Aufgaben für die Grundversorgung bereit zu stellen. Das können Bildungseinrichtungen, die Müllabfuhr, Abwasserbeseitigung usw. sein. Ganz sicher zählen zu der städtischen Aufgabe der Grundversorgung nicht die Befriedigung von Konsumbedürfnissen dazu, wie sie Gastgewerbebetriebe bezwecken. Die aktuelle Stadtregierung unterstützt vor allem „Zwischennutzungen“, die dem Konsum dienen: Pop-up-Bars.
Die „befristete Nutzung“ nach Abs. 2 Bst. b des Entwurfs kann nach dem Willen des Gemeinderates zudem zonenkonform sein, wenn sie Liegenschaften betreffen, für deren bewilligten Nutzungszweck objektiv kein Bedarf besteht. Hier stellt sich die Frage, wer legt dies fest und wie wird dabei die Objek-tivität gewährleistet? Betrifft dies nur städtische Liegenschaften oder auch private Liegenschaften? Es ist für Behörden in der Regel absehbar, wann an Gebäuden kein Bedarf mehr besteht; hier wird offen-sichtlich ein Schlupfloch von der im übergeordneten Recht verankerten behördlichen Planungspflicht geschaffen.
Damit verstösst der Normentwurf gegen das übergeordnete Bundesrecht in Art. 22 Abs. 2 Bst. a RPG (RPG; SR 700), wonach Bauten nur bewilligt werden, wenn sie dem Zweck der Nutzungszone entsprechen. Nach ständiger Rechtspraxis gilt die Zonenkonformität auch bei „Zwischennutzungen“ als Voraussetzung für eine Baubewilligung.
Absatz 3: Sie können für eine Dauer von bis zu fünf Jahren bewilligt werden, wenn
a. dafür nur bestehende Bauten umgenutzt oder leicht entfernbare Neubauten aufgestellt werden
Dieser Normentwurf soll bisher zonenwidrige Umnutzungen mit einer Dauer von bis zu acht Jahren erlauben (vgl. Abs. 4). Damit hebelt die Stadt ihre eigene Zonenordnung aus und verstösst gegen die ständige Rechtspraxis zum RPG und zum Baugesetz. Es ist Tatsache, dass die Norm für die Rechtsadressaten verbindlich ist und dass sich die Bauherren von “Zwischennutzungen” nicht an die Voraussetzungen des Nutzungsplans in den Art. 19 bis 25 BO zu halten brauchen. Es ist fraglich, ob die lange Dauer einer „Zwischennutzung“ von fünf bis acht Jahren überhaupt noch als „Zwischennutzung“ gelten kann? Oder handelt es sich nicht um vorgezogene vom Gemeinderat gewünschte politische Nutzungen? Mit der langen Nutzungsdauer von bis zu acht Jahren würden sie präjudizierende Wirkung haben und der Stimmbürgerschaft ihrer politischen Rechte, insbesondere ihrem Recht auf unbeeinflusste und unverfälschte Stimmabgabe berauben (vgl. RA Nr. 110/2019/47, S. 16).
Bestehende Bauten können nach dem Entwurf 1.) umgenutzt oder 2.) leicht entfernbare Bauten aufgestellt werden, schreibt die Stadtregierung, soweit diesen Vorhaben keine überwiegenden öffentlichen Interessen entgegen stehen würden. Dadurch könnte fast jede „Zwischennutzung“ durch die Stadt selbst bewilligt werden, ausser wo sie Grundstückseigentümerin ist. Nicht nur ungenutzte Räume könnten umgenutzt werden, sondern jegliche bestehende Bauten.
Und was versteht der kommunale Gesetzgeber unter: „leicht entfernbare Bauten“? Auch dieser Begriff ist schwammig und kann erst durch die Rechtsprechung konkretisiert werden. Das könnten Containerlösungen oder Holzbaracken sein, oder Wagenburgen für Personen, die keinen festen Wohnsitz haben, sofern diese nicht in der Altstadt aufgestellt werden. Es können sogar Modulbauten sein, die rasch wieder entfernt werden können. Hier hätte der Gemeinderat definieren sollen, was er unter „leicht entfernbar“ versteht, wenn er einen neuen Begriff, bzw. Kriterium in die Bauordnung einführt.
b. sie den im Baubewilligungsverfahren zu prüfenden, kantonalen und eidgenössischen Vorschriften entsprechen,
Bundesrecht und kantonales Recht geht kommunalem Recht vor. Weshalb wird dieser allgemein bekannte Grundsatz in eine Norm aufgenommen werden, die ja gerade bezweckt, gegen übergeordnetes Recht zu verstossen? Es wäre für die Stadtregierung dienlicher gewesen, sich im Rahmen mit der Gesetzesevaluation mit der eigenen begrenzten Gemeindeautonomie auseinanderzusetzen.
Die Bewilligungsbehörden haben vor ihrem Entscheid für eine Bewilligung zur „Zwischennutzung“ auch abzuklären, ob privatrechtliche Dienstbarkeiten, obligatorische Rechte oder Nachbarschaftsrech-te an den Grundstücken bestehen (Art. 128 Abs. 2 BauG). Dieses (bundesrechtliche) Privatrecht kann ebenso wenig durch die kommunale Norm Art. 27a BO (Entwurf) einfach gekippt werden.
Befristete zonenkonforme Nutzungen können zwischen den Eigentümern und Mietern vertraglich geregelt werden, ohne dass dafür eine eigene städtische Anlaufstelle „Koordinationsstelle Zwischennutzung“ benötigt wird.
e) keine überwiegenden öffentlichen Interessen entgegenstehen.
Bei nicht zonenkonformen Zwischennutzungen handelt es sich meistens um Fälle mit hohem Konflikt-potential, bei denen mit sehr hohem Aufwand für die Stadt und damit für die Steuerzahlenden zu rechnen ist. Braucht es wirklich eine Regelung „nicht zonenkonformer Zwischennutzungen“ oder handelt es sich nur um eine weitere unnötige Bestimmung, die aus den oben genannten Gründen gar nicht geeignet ist, Wirkung zu zeigen (vgl. oben)? Hier hat der Gemeinderat zu evaluieren, welche Kosten die Einführung dieser Norm für die städtische Bevölkerung bedeutet.
Die Stadtregierung und die von ihr geförderten Akteure sind schon mehrmals mit rechtswidrigen “Zwischennutzungen” im Verwaltungs- und im Verwaltungsgerichtsverfahren gescheitert, zuletzt mit dem Café am Egelsee (Entscheid noch nicht rechtskräftig). Ihre Ausführungen in den Erläuterungen (Entwurf 2018, S. 4 unten), dass das öffentliche Interesse eine Grenze für die “Zwischennutzungen” setzt, ist schlichtwegs ein Paradox. Das öffentliche Interesse ist ein unbestimmter Rechtsbegriff, der schwer auszulegen ist. Ist die Stadt Entscheidungsbehörde, bestimmt sie das öffentliche Interesse. Ihre Politik will die Stadt mit privaten oder halb privaten/ halb öffentlichen “Zwischennutzungen” fördern und umsetzen. Damit schafft die Stadt für „politisch genehme Trendige“ Sonderrechte und damit Privilegien.
Ein Beispiel: Trotzdem die Stadt mit einem Baugesuch für ein Gastgewerbe am Egelsee fulminant beim Kanton gescheitert ist, lässt sie durch den „Verein am See“ ein Café im geschützten Gewässerraum führen, dessen Lärm bereits im August 2019 zweimal die Sonntagsruhe der Anwohner gestört hat. Am Egelsee hat es bereits seit Jahrzehnten den Schosshalden-Ostring-Murifeld-Leist (SOML) in unmittelbarer Nähe, der regelmässig Veranstaltungen durchführt. Somit werden die Anwohner durch zwei Organisationen im Gewässerraum „belebt“, notabene in unmittelbarer Nähe eines Biotops.
Abs. 4: Die Baubewilligungsbehörde kann die Dauer der Zwischennutzung auf maximal acht Jahre verlängern, falls die Bedingungen und Auflagen der Baubewilligung eingehalten worden sind.
Der Gemeinderat führt ein Bonussystem _ drei Jahre „Zwischennutzung“ mehr _ für diejenigen „Zwi-schennutzer“ ein, die sich an die Vorschriften halten. Mit dieser Bestimmung signalisiert der Gemeinderat: Diejenigen, die sich um Vorschriften foutieren, dürfen immerhin fünf Jahre als „Zwischennutzer“ bleiben... Diese Bestimmung zeigt im Grunde genommen auf, dass der Gemeinderat ernsthaft damit rechnet, dass „Zwischennutzer“ sich nicht an die Vorschriften halten werden.
Abs. 5: Wird während der bewilligten Dauer der Zwischennutzung eine Planung für das betreffende Grundstück öffentlich aufgelegt und sind die Bedingungen und Auflagen der Baubewilligung eingehalten worden, kann die Baubewilligungsbehörde die Dauer der Zwischennutzung bis höchstens zwei Jahre nach Inkrafttretung der Planung verlängern.
Dieser Absatz beschreibt grundsätzlich die „Zwischennutzung“, also die Übergangszeit zwischen der Aufgabe des bisherigen Nutzungszweckes und der zu diesem Zeitpunkt bereits festgelegten Planung. Dies im Gegensatz zum missglückten Definitionsentwurf im Abs. 1. Allerdings erfolgt die Beschreibung in einem falschen Kontext.
Abs. 6: Die Zwischennutzung muss nach Ablauf der bewilligten Nutzungsdauer beendet werden und es ist der ursprüngliche Zustand wiederherzustellen.
Hier ist die Frage zu stellen, wie die Stadt bei den „Zwischennutzern“ durchsetzen will, dass diese den ursprünglichen Zustand wieder herstellen? Falls die Kosten für die Wiederherstellung nicht von den „Zwischennutzern“ übernommen werden, dann tragen die Steuerzahler die Kosten.
3. Fazit
- Der Entwurf verstösst gegen übergeordnetes Recht und schafft ein Schlupfloch für die städtische Behörde, die Planungspflicht zu umgehen. Es ist festzuhalten, dass die Gemeindeautonomie nach Art. 65 BauG der Stadt Bern keine Handhabe gibt, auf kommunaler Ebene die gesetzlich von Bund und Kanton festgelegten Nutzungsmöglichkeiten als „Zwischennutzungen“ auszuhebeln.
- Die Definition der Stadtregierung von Abs. 1 zur „Zwischennutzung“ ist bereits vom Wortsinn her falsch, da es keine „Übergangsnutzung“ ist. Stattdessen handelt es sich um eine „befristete Nutzung“, die faktisch durchaus eine „politisch vorgezogene Endlösung“ sein kann. Die Stimmbürger werden ihrer politischen Rechte aufgrund ihrer präjudizierenden Wirkung insbesondere ihrem Recht auf unbeeinflusste und unverfälschte Stimmabgabe beraubt mit einer langen Nutzungsdauer von bis zu acht Jahren.
- Bei Annahme dieser Norm müssten Betroffene, welche ihre Rechte geltend machen wollen, den langen Verfahrensweg durch die Instanzen beschreiten. Da es sich um zeitlich begrenzte „Zwischennutzungen“ handelt, könnten viele „Zwischennutzungen“ gar nicht durch die oberen Instanzen überprüft werden. Sobald die „Zwischennutzung“ abgeschlossen ist, verlieren die Einsprecher ihr aktuelles Rechtsschutzinteresse. Dann werden die Instanzen nur noch über Rechtsfragen von grundsätzlichem Interesse urteilen.
- Wird dieser Entwurf angenommen, überlässt es der Gesetzgeber einmal mehr den Gerichten, schwammige Normen zu konkretisieren und zu überprüfen. Dies bedeutet Mehrkosten und Mehraufwand für alle Betroffenen.
- Öffentliche Aufgaben dienen der Grundversorgung. Damit sind Gastgewerbebetriebe, welche Konsumbedürfnisse befriedigen, nach Art. 2 Bst. a von der „Zwischennutzung“ ausgeschlossen.
- Mit diesem Gesetzesentwurf will die Stadt für „politisch genehme Trendige“ Sonderrechte und damit Privilegien schaffen.
- „Übergangsnutzungen“ können einen Mehrwert in der Stadt Bern bieten, aber die vom Gemeinderat vorgeschlagenen rechtlichen Anpassungen für „befristete Nutzungen“ schiessen zu weit über das Ziel hinaus. Echte Übergangslösungen funktionieren ohne Änderung der Bauordnung, sofern sie _ eine Grundvoraussetzung _ einvernehmlich erfolgen. Dieser Entwurf ist zu schwammig formuliert, deshalb ist zu befürchten, dass seine Einführung keine Probleme löst, sondern eher verstärkt.

Symbolbild: Die städtische Politik zum Egelsee wird immer mehr zur Sackgasse...