Gewässer als Zufluchtsort für bedrohte Arten

Wie reich an Pflanzen und Tieren das Egelmoos bei Bern einst gewesen ist, wie es im Laufe der Jahre verändert wurde, verarmt ist und wie er in Zukunft erfreulicher gestaltet werden könnte... Dies beschreibt der Naturforscher Franz von Tavel (PDF) in seinem botanischen Inventar: "Das Egelmoos bei Bern" aus dem Jahr 1933. Darin wird die Einzigartigkeit des Gewässers als Zufluchtsstätte vieler bedrohter Arten beschrieben. Die IG Egelsee hat das Buch zusammengefasst und mit Hinweisen ergänzt.

Franz von Tavel hat die Pflanzen und Tiere im und um den Egelsee persönlich untersucht, die vorhandene Literatur recherchiert und wurde dabei von weiteren Berner Naturforschern unterstützt. Da manche Lebewesen zu allgemein und zu häufig am Egelsee vorkamen, so hielt er fest, wurden sie nicht erwähnt, obwohl sie gleichwohl zum Inventar gehören würden. Der Naturforscher wohnte in seiner Berner Zeit immer in der Nähe des Egelsees. Dies gab ihm Gelegenheit, das Gewässer gründlich kennenzulernen.

1884 wurde das Gewässer stark geschädigt

Der Egelsee (Egelmoos, Egelmösli, Marais d'Aegelnmoos) ist ein kleiner Moränensee. Er liegt zwischen zwei Stirnmoränen des Aaregletschers der letzten Eiszeit eingebettet auf einer Höhe von 548.93 m.. Er ist 206 m. lang, die Breite beträgt in der Mitte gemessen 79 m. Die Tiefe schwankt zwischen 6.5 m. (heute: 3.40 m) und 0.65 m. auf der Nordostseite (zur Egelseegasse hin, früher "Chrottegässli" genannt). Er wurde im Volksmund als "bodenlos" bezeichnet. Er erhält Zufluss vom Wysslochbach, der, wie von Tavel beschrieben, zeitweise austrocknet. Er nimmt eine Reihe von Brunnenabläufen der umliegenden Landgüter auf. Einen oberirdischen Ablauf gibt es nicht, über einen unterirdischen sind allerlei Fabeln in Umlauf. In nassen Jahren pflegte er früher gegen Süden über die Wiesen abzulaufen, bis die Burgergemeinde einen Damm (zur Ankerstrasse) erstellte, um ihr Land zu schützen.

Da, wo heute das Gebäude des ehemaligen Entsorgungshofes an der Muristrasse 21e steht, stand das Landhaus Moosburg von Fritz Thormann, dem 1869 der Egelsee gehörte. Im Winter wurde von jeher auf dem Egelsee Schlittschuh gefahren, wie bereits im "Adressenbuch der Republik Bern" von 1836 vermerkt wurde. Das Eis wurde auch planmässig gebrochen und verwertet. Wegen hoher Nachfrage wurde 1884 die Fläche des Teiches vergrössert, indem die Ufer teilweise in mächtigen Schollen abgetragen, der östliche seichte, mit Seebinsen überwachsene Teil zusammen mit dem anstossenden Ackerland ausgebaggert wurde und der Aushub in den tieferen Partien abgelagert wurde. Damit wurde die bis dahin so reiche Flora und Fauna des Egelmooses zum grössten Teil zerstört, schreibt von Tavel, und hat sich seither nicht wieder erholen können.

1908 sollte der See aufgefüllt und überbaut werden

Im Jahr 1908 plante der damalige Besitzer Hermann Rudolf Walther, den ganzen Egelsee aufzufüllen und zu überbauen. Er konnte von den Eigentümern der umliegenden Landgüter vor 110 Jahren gegen Entrichtung einer sehr hohen Summe davon abgebracht werden. Ein Servitut wurde auf der Liegenschaft errichtet, der zufolge der Bestand des Seeleins nun für alle Zeiten gesichert ist.

Heute gehört der Egelsee der Stadt Bern. Sie hat ihn (im Jahr 1933) an einen Pächter vermietet, wird ihn aber mit der Zeit in eine projektierte Promenade einbeziehen. Vorläufig hat sie das Gewässer eingezäunt und damit die wenigen interessanten Pflanzen, die diese Veränderungen überstanden haben, endgültig geschützt. Was freilich den Pächter nicht hindert, den gesamten Pflanzenbestand dem Ufer entlang gelegentlich abzumähen, schreibt der Naturforscher.

Brunnengrabung liess Seewasser ablaufen

Der Egelsse liegt in einem Lehmbett. Blauer Lehm zieht sich auch am nördlichen Abhang ein Stück weit hinauf. Als an der Ecke Ensingerstrasse und Steinerstrasse (im Jahr 1884) ein Sodbrunnen gegraben wurde, musste man tief unter das Niveau des Egelsees graben, bis man auf Grundwasser stiess. Dabei wurde die Lehmschicht durchstossen. Die Lehmschicht hält das Wasser des Sees zurück, damit es nicht ringsum versickert. Durch das Senkloch des Sodbrunnens ist damals ein grosser Teil des Seewassers in die tiefere Kiesschicht abgelaufen. Es wurde dann eine Schleuse zur Regulierung des Wasserstandes eingesetzt. Eine Reihe von Eschen wurde längs des Dammes gepflanzt, um die Verdunstung der Wasserfläche zu regeln.

Seebinsen und Schachtelhalme wogten auf der Ostseite

Wie sah im Egelmoos vor 1884 die Pflanzen- und Tierwelt aus? Die Wasserfläche war kleiner und liess gegen Nordosten noch Platz für ein Stück Wiesland und einen kleinen Getreideacker. Nach dieser Seite war das Ufer eingefasst von einer Gruppe von Schwarzerlen, untermischt mit einigen Silberweiden, Silberpappeln und Weissbirken. Diese Bäume seinen angepflanzt worden, um die Verdunstung des Wassers zu erhöhen und Überschwemmungen vorzubeugen. Für die Physiognomie dieses Seeleins ist sehr bezeichnend das absolute Fehlen des Schilfes. Über der Wasserfläche wogte auf der Ostseite ein ganzer Wald der Seebinse und des Schachtelhalmes. An freien Stellen blühten Kolonien der Seerose, weisser Wasserranunkeln und des rosenroten Wasserknöterichs. Die Ufer waren wie heute (1933) eingefasst von mächtigen Büschen eines eleganten Riedgrases und der Wasserschwertlilie, deren grosse gelbe Blumen sich mit den purpurnen anderen Pflanzen mischte.

Auflistung der Pflanzenarten

Aufgezählte Pflanzenarten:

  • dreiteiliger Wasserhahnfuss (Ranunkel) / Ranunculus radiatus Revel
  • Sumpfkresse/ Roripa islandica
  • Blutweiderich/ Lythrum salicaria
  • Zottiges Weidenröschen/ Epolobium hirsetum
  • Wassersterne/ Callitriche polymorph
  • Gamander/ Teucrium Scordium
  • Wasserminze/ Mentha aquatica
  • Ehrenpreis/ Veronica scutellata
  • Ehrenpreis/ Veronica Anagallis aquatica
  • Ehrenpreis/ Veronica Beccabunga
  • Verkannter Wasserschlauch/ Utricularia neglecta
  • Sumpfschachtelhalm/ Calium palustre
  • Nickender Zweizahn/ Bidens cernuus
  • Dreiteiliger Zweizahn/ Bidens tripartitus
  • Wasserwegerich/ Alisma Plantago aquatice
  • Kamm-Laichkraut/ Potamogeton pectinatus
  • Gemeiner Wasser-Schlauch/ Potamogeton panormilnus ssp. Vulgaris
  • Gelbe Schwertlilie/ Iris Pseudacorus
  • Gewöhnliche Sumpfbinse/ Eloecharis palustris
  • Teichbinse/ Schoenoplectus lacustris
  • Flatterbinse/ Juneus effesus
  • Kalkbinse/ Juneus subnodulosus
  • Wald-Simse/ Scirpus silvaticus
  • Zweiteilige Segge/ Carex disticha
  • Schlank-Segge/ Carex gracilis
  • Steife Segge/ Carex elata
  • Gelbroter Fuchsschwanz/ Alopecurus aequalis
  • Wiesen-Fuchsschwanz/ Alopecurus pratensis
  • Rotschwingel/ Festuca rubra
  • Rohrschwingel/ Festuca pratensis
  • Wasser-Schwaden/ Glyceria fluitans
  • Igelkolben/ Sparganium ramosum

An der Egelgasse befand sich eine merkwürdige Pfütze, die eine Art Überlauf darstellte und im Sommer mehr oder weniger austrocknete. Dort kamen alleine vor: die Sumpfkresse, die Gamander, drei Arten Ehrenpreis, der Igelkolben und die Wasser-Schwaden, der gewöhnliche Wasserhahnfuss, die Wassersterne, der Sumpfknöterich, und eine Zwergform des nickenden Zweizahns.

Straussgoldfelberich im "Marais d'Aeglenmoos"

Bei den Ranunkeln (Wasserhahnfuss) gab es zwei bis drei verschiedene Arten, eine davon eine herophylle Form des R. flaccidus, wenn nicht gar eine eigene Art: R. radians Revelière. Von Tavel hat zudem auf eine dritte Form hingewiesen, welche im Herbarium des botanischen Gartens läge und noch einer näheren Untersuchung bedarf. Eine andere Besonderheit ist der Straussgoldfelberich, der mit der alten Ettikette "Marais d'Aeglenmoos" im Herbarium stand und von dem der Naturforscher vermutet, dass der Sohn des grossen Hallers der Finder dieser reizenden Pflanze gewesen sei, die 1828 beschrieben wurde. Die Pflanze ist seither nicht wieder am Egelsee gefunden worden und (Stand: 1933) nur noch vereinzelt im Kanton Bern entdeckt worden. Sie zeigt vielleicht besser als alle anderen Pflanzen, so Franz von Tavel, wie wertvoll für die Botaniker dieser kleine Teich früher gewesen sei.

62 Arten und Varietäten der Rädertiere – sechs Egel-Arten

Zu den Algen fehlen fast alle Angaben, so der Naturforscher, und doch muss es allerlei interessante Algen erhalten haben. Als im Sommer 1884 durch den Bau des Sodbrunnens der Teich fast entleert wurde, kam es zu einer auffallenden sogenannten Wasserblüte, das ganze Wasser verfärbte sich blutrot. Die Erscheinung wurde durch einen Mikroorganismus hervorgerufen, dessen Bestimmung damals nicht gelang. Im Egelsee wurden 33 Protozoen und 62 Arten und Varietäten von Rotatorien (Rädertierchen) bestimmt (s. Dissertation von Otto Schreyer, 1920). Neun Rädertierchen befanden sich nur hier, darunter drei in der Schweiz noch nicht beobachtete.

Der Naturforscher hat am Egelsee selbst einen Süsswasserpolypen gesammelt und darauf hingewiesen, dass im Naturhistorischen Museum Bern schöne Exemplare des Süsswasserschwamms vom Egelsee aufbewahrt werden.

Die Würmer, vor allem sechs Arten von Egel, kamen in solchen Mengen und in solch stattlichen Exemplaren daher, dass der Teich ohne Zweifel nach ihm benannt worden ist. Von den Weichtieren wurde 1884 die Nacktschnecke Limax leavis Müll. (Kellerschnecke) angeführt, die anderswo in Bern nicht beobachtet wurde.

Die Ruderfusskrebse hat René la Roche 1906 im Rahmen einer Dissertation ein Jahr lang untersucht und neun Arten gefunden, darunter auch die sonst nur im Basler Jura vorkommende Diaptomus vulgaris Schmeil. Von den Wassermilben wurden zwischen drei und zwölf Arten beschrieben.

17 Arten der Libelle wie die Mondazur-Jungfer

Bei den Insekten ist die Datenlage 1933 rar, insbesondere bei den Käfern. Im Egelsee wimmle es nur vor Wasserwanzen.

Von den Libellen werden alleine 17 Arten aufgeführt:

  • die seltene Leucorhinia caudalis Chrp (zierliche Moosjungfer)
  • die Sympetrum vulgatum (gemeine Heidelibelle)
  • die L. flaveolum (gefleckte Heidelibelle)
  • die Libellula quadrimaculata (der Vierfleck)
  • die Platetrum depressum (der Plattbauch)
  • die Cordulia aenea (Falkenlibelle)
  • Weitere Liebellenarten sind am Egelsee nachgewiesen worden:
    • Anax formosus v.d. Lind.
    • Aeschna grandis
    • Lestes virens Charp
    • Platyenemis pennipes Pall
    • Agrion elegans v.d. Lind.
    • A puella
    • A cyathigerium Charp
    • A. hastalatum Charp
    • A. mercuriale Charp
    • A. najas Hansen
    • A. lunulatum Charp

Die Mondazur-Jungfer wurde von Dr. Steck am Egelsee entdeckt und sonst in der Schweiz nicht gefunden. Die gefleckte Heidelibelle und der Vierfleck, eine Grosslibelle, traten oft in grossen Schwärmen auf.

Eine Übersicht der im Egelsee gefundenen 5 Larvenarten ist von R. Meyer-Duer erfasst worden.

An den Fischen war der See 1933 nicht reich. In den 70er Jahren des 19. Jahrhunderts hat der damalige Besitzer Major R. Thormann Krapfen, Brachsmen und Hechte ausgesetzt. Ein gewaltiger Hecht aus dem Egelsee wurde an der schweizerischen Landesausstellung 1914 gezeigt. Umso reicher gediehen im Egelsee die Frösche. Von Tavel beschreibt, welche Konzerte der grüne Wasserfrosch in schönen Sommertagen aufführte. (Ältere Anwohner am Egelsee erinnern sich noch heute, d.h. 2018 daran). Um 1880 wurde ihre Zahl reduziert, weil Gänse auf dem Egelsee gehalten wurden. Neben dem Wasserfröschen laichten auch die Grasfrösche, ebenso die Erdkröte (Erdkröten sind in der Umgebung des Egelsees auch heute noch heimisch) und die Ringelnatter.

Die Vögel werden im Buch von Tavel spärlich beschrieben. Die Fledermäuse, welche die Insekten über das Wasser jagen, auch nicht.

Plädoyer des Naturforschers für die Zukunft

Der Naturforscher bemerkt im Rückblick auf dieses Inventar: Was an Pflanzen und Tieren im Egelsee schon beobachtet worden ist, drängt sich unwillkürlich der Ruf auf: das war einmal! Durch die 1884 ausgeführten Arbeiten wurden die Wasserpflanzen zum grössten Teil vernichtet. Noch sind einige Riedgräser, die Iris, der Wasserknöterich und ein paar Frösche geblieben, aber das Idyll ist dahin. Aber etwas könnte getan werden, um wenigstens das zu erhalten, was noch da ist. Der (Berner) Gemeinderat hat in anerkennenswerter Weise durch die Einzäunung für Schutz gesorgt.

Das Schlittschuhlaufen, so lautet sein Fazit, das von jeher hier betrieben wurde, steht der Entfaltung der Tier- und Pflanzenwelt nicht im Weg. Aber ist es nötig, alljährlich den Pflanzenbestand am ganzen Ufer ringsum abzumähen, oder könnte das nicht wenigstens in den Spätherbst verlegt werden?

Wenn das Egelmoos als Bestandteil einer künftigen städtischen Promenade im Sommer unter die Obhut des Stadtgärtners gestellt würde, könnte nicht nur erhalten bleiben, was da ist, sondern dieser würde auch Mittel und Wege finden, wieder Seerosen und andere bemerkenswerte Gewächse dort anzusiedeln. Er könnte das Egelmoss zu einer Zufluchtsstelle dieser überall verschwindenden Wasserpflanzen machen. So könnte ihm wieder ein ganz eigenartiger neuer Reiz verliehen und es zu einem Garten gestaltet werden, um den uns andere Städte beneiden dürfen.

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